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Mir ist egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen

24.06.2019 11:42

Regie: Radu Jude; mit Ioana Iacob, Alexandru Dabija; Rumänien/Frankreich/ Deutschland 2018 (Grandfilm); 120 Minuten; ab 30. Mai im Kino

Radu Jude, der auf Festivals gefeierte rumänische Regisseur, hat einen fulminanten Film über den Umgang mit der eigenen Geschichte gemacht, ihrer Wahrheit und vor allem ihren Lügen, genauer über das rumänische Massaker an Juden in Odessa. Er spielt aber nicht 1941 in Odessa, sondern in der Jetztzeit, vor den imposanten, wenn auch stalinistischen Protzbauten in Bukarest. Eine ununterscheidbare Menge von Schauspielern, Statisten, Zuguckern, Klugscheißern und Gleichgültigen probt oder kritisiert eine riesige Theaterperformance. Im Hintergrund des großen Platzes: lebhafter Autoverkehr von heute. Die junge Regisseurin Mariana Marin, eine Rolle im Film, plagt sich mit dem mangelhaften Geschichtsbewusstsein der Darsteller. Sie stellt Hakenkreuzfahnen zur Schau. SA marschiert. Auf der Abschlussparty sieht man sich die Aufnahmen noch mal an. »Die Wahrheit ist, dass die deutschen Soldaten sehr gut aussehen«, sagt eine sexy Darstellerin. Ist das nun ironisch, aggressiv, wahr? Es ist grotesk, es ist komisch, es trifft die Verdrängung von Geschichte, es bestätigt die Allmacht der Gegenwart, in der es nur ums eigene Befinden, den Spaß und die Selbstdarstelllung geht. Das ist in diesem Spektakel bösartig und komisch zugleich. Judes Film trifft den geschichtslosen Zustand der aktuellen Gesellschaft um Längen besser als noch so bemühte intellektuelle Werke, die an Moral, Aufarbeitung und gesellschaftliche Verantwortung appellieren. Okay, sehen wir uns den hintergründigen Spaß an, und wir wissen, wie es mit dem Rechtspopulismus weitergeht. Der Film verkündet keine Weisheiten. Er versetzt uns in seinen Alltag. Der gegenwärtigste Alltag ist die Herstellung des Films selbst. Wir sind in einem Tonstudio. Die eigentlich so sympathische Performance- Regisseurin hört sich diverse Schüsse an, die ihr die Technikerin mit Begeisterung vorführt. »Hast du auch Todesschreie?«, fragt die Regisseurin neugierig. »Na klar!« Wir hören die Schreie. Die Regisseurin hört sie, leckerere Snacks weiterkauend. Am Anfang haben wir Originalaufnahmen vom Massaker in Odessa gesehen. Ihre aktuelle Verwendung wirft Fragen auf. »Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen« ist ein Film über Gegenwartsbewältigung.

Dietrich Kuhlbrodt

 

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