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Slow West

31.07.2015 12:33

Regie: John Maclean; mit Kodi Smit- McPhee, Michael Fassbender; Großbritannien/ Neuseeland 2014 (Prokino); 85 Minuten, ab 30. Juli im Kino

Am Ende zieht der Film Bilanz: In einer Revue werden dem Zuschauer die Leichen derer gezeigt, die während der Handlung zu Tode gekommen sind. 17mal legt sich die Kamera auf Körper in den Landschaften Colorados.

Ein zynisches Resümee, das die Hoffnungen der Protagonisten zu Beginn des Films kontrastiert. Der blutjunge Schotte Jay sucht im gesetzlosen Wilden Westen nach seiner flüchtigen Landsfrau Rose. Der verbitterte Cowboy Silas lässt sich für ein paar Dollar als Fährtenführer und Bodyguard für Jay verpflichten. Doch die gemeinsame Suche ist unterschiedlich motiviert: Während der pubertierende Jay in Rose die große Liebe sieht, ist Silas auf das Kopfgeld aus, das auf Rose ausgesetzt ist, nachdem ihr ein Mord angelastet wurde. Die zwischen subtilem Thriller, Coming-of-Age-Drama und Roadmovie angesiedelte Geschichte kumuliert in einem spektakulären Shoot-out, der sich dramatisch an Hamlet und stilistisch an Tarantino orientiert.

Western war immer ein Stück amerikanischer Vergangenheitsbewältigung: in seiner traditionellen Form als nostalgische Reminiszenz an ein Amerika weißer, bewaffneter Männer wie in der späten Form linker Filmemacher, die in dem nationalen Mythos der Zivilisierung des Wilden Westens jenen Expansionsdrang erkennen wollen, der auch den Vietnam-Krieg ermöglichte. Auch in »Slow West« ist der Wilde Westen ein lebensfeindlicher Ort roher Gewalt, doch der Bruch mit dem Klischee (der inzwischen selbst zum Klischee geworden ist) vollzieht sich hier aus der Perspektive des Außenstehenden. Der schottische Regisseur John Maclean nimmt die rauhe Wirklichkeit des Wilden Westens als Metapher für die enttäuschten Hoffnungen vieler Migranten. Er zeichnet die Prärie als Heimat einer internationalen Gemeinschaft der Ausgesetzten, die hierhin vor den Geistern der Vergangenheit flüchten, um sich vereinzelt in einer feindlich gesinnten Umgebung wiederzufinden.

Bald hat der feinfühlige Jay genug vom rauhbeinigen Silas und setzt seine Reise alleine fort. In der Steppe trifft er auf einen deutschen Ethnologen, der das Aussterben der Indianer dokumentieren will. »In a short time, this will be a long time ago« – mit diesen Worten prophezeit der Wissenschaftler die Ankunft der Zivilisation. Doch auch heute noch werden Hoffnungen enttäuscht, und in einer ruhigen Woche finden sich 17 Tote in der Polizeistatistik einer durchschnittlichen amerikanischen Großstadt.

Marten Brehmer

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