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Suffragette - Taten statt Worte

17.02.2016 14:43

Regie: Sarah Gavron; mit Carey Mulligan, Helena Bonham Carter; Großbritannien 2015 (Concorde); 106 Minuten; seit 4. Februar im Kino

Manchmal ist das Shakespeare-Format besser und progressiver als eine ultramoderne Verpackung. Während sich letztere in Spielereien verlieren kann, haftet das klassische Drama eng an seinen Konflikten und Figuren. Bei einem Thema wie der englischen Suffragetten-Bewegung ist es ein kluges Mittel. Die Frauen, die Anfang des 20. Jahrhunderts für Wahlrecht und Gleichstellung kämpften – und nebenbei frech auf der Straße rauchten –, werden nämlich heute gerne belächelt. Süß, wie sich die alten Tanten damals aufregten. Wir sind ja längst viel weiter, viel aufgeklärter, viel gleicher, heißt es da.

Dass dem nicht so ist, lässt uns die britische Regisseurin Sarah Gavron im Abspann ihres Films wissen, indem sie den aktuellen Stand des Frauenwahlrechts weltweit auflistet. Diese kleine Spitze jedoch verblasst im Vergleich zur Geschichte, die sie uns in den 106 Minuten zuvor serviert. Ganz klassisch, mit Nähe zu den Figuren, mit Kampfeslust und drastischen Bildern.

Dabei könnten viele der Londoner Straßenszenen den nostalgischen Sherlock-Holmes-Verfilmungen mit Jeremy Brett entspringen. Ein Idyll, das allenfalls Gangster sprengen konnten. In »Suffragette« jedoch gibt es keine Beschaulichkeit. Aufgebrachte Frauen werfen Fensterscheiben ein. Nutzen Kinderwagen als Waffenlager. Krakeelen, prügeln, sprengen. Ähnlich wie die historischen Dramen Ken Loachs folgt »Suffragette« den Unterdrückten bis in die Nischen ihres Seins. Die Protagonistin Maud (Carey Mulligan) schuftet seit ihrem siebten Lebensjahr unter brutalsten Bedingungen in der Wäscherei. Ein klassischer Fall von Proletariat, den wir heute bei uns nicht mehr erleben, sondern in Drittweltländer ausgelagert haben. Zu Hause warten ihr verständnisloser Mann und ein kleiner Sohn. Obwohl Maud mit den Suffragetten um Emmeline Pankhurst (Meryl Streep) nichts zu tun haben will, ziehen die materiellen Umstände, die Ausbeutung, der Sexismus die Arbeiterin automatisch auf deren Seite.

Mit Maud und vielen anderen Charakteren gelingt es Sarah Gavron, Frauenfiguren zu entwerfen, die in ihrer Stärke und Unabhängigkeit, in ihrer intellektuellen Schärfe und fast schon kantianischen Konsequenz auch heute, in einer Zeit klammheimlichen sexistischen Rollbacks, wirken wie Pionierinnen einer Zukunft, die vielleicht doch noch die Gesellschaft der autonomen freien Subjekte erhoffen lässt.

Katrin Hildebrand

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