06.01.2016 12:51
Regie: Alejandro G. Iñárritu, USA 2015 (20th Century Fox), 156 Minuten, ab 6. Januar im Kino
„Erzähl du mir nichts von Ehre!“ Mit diesen Worten beschließt der Häuptling der Cree-Indianer den Tausch von gestohlenen Biberfellen gegen Waffen und Munition mit einem französischen Trapper. Bei den europäischen Invasoren ist Loyalität nur gegen Geld, sind Gnade oder Freundschaft gar nicht zu erwarten.
Der mexikanische Regisseur Alejandro G. Iñárritu erzählt in seinem neuen Film die Geschichte des Trappers Hugh Glass, der zusammen mit seinem halbindianischen Sohn Hawk als Späher für eine Gruppe Biberfelljäger der Rocky Mountain Fur Company arbeitet. Als die Gruppe nach einem verlustreichen Scharmützel mit Cree den Rückzug antritt, wird Glass von einem Grizzly-Muttertier schwer verletzt und muss zurückbleiben. Die Männer, die zu seinem Schutz abgestellt wurden, lassen ihn im Stich, ihr Anführer Fitzgerald tötet Glass‘ Sohn. Angetrieben vom Wunsch nach Rache, nimmt der Halbtote die Verfolgung auf und kämpft sich unter widrigsten Bedingungen durch eine erbarmungslose Wildnis, flieht vor feindlichen Indianern und liefert sich Schießereien mit anderen Trappern.
Das ausschließlich natürliche Licht lässt die Panoramaeinstellungen verschneiter Hochebenen in trostloser Härte erscheinen. Für die ideale Einstellung und authentisches Leiden mussten Darsteller und Crew nach eigenem Bekunden stundenlang in der Kälte ausharren, Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio, der in Tierkadaver kriecht und bei Minusgraden immer wieder in einen Fluss springt, spricht vom härtesten Film seiner Karriere. Bereits in Martin Scorseses „The Departed“ verkörpert er einen verzweifelten Charakter, dem in einer gewalttätigen Umwelt jeder Rückhalt genommen wird. In „The Revenant“ steigert er sich noch einmal. Er sabbert, blutet und schreit. Sein Mienenspiel zwischen Fiebertraum, Hass und Verzweiflung ist lebendig und überzeugend. Demgegenüber steht Tom Hardy, der dem eiskalten und verschlagenen Fitzgerald mal eine schmeichelnd-joviale, mal drohende Stimme verleiht, aber seine Ziele immer mit eiskaltem Blick verfolgt.
Der „Spiegel“ attestiert dem Regisseur, einen Film mit „cojones“ gedreht zu haben. Auch die offizielle Website des Films vermarktet den Aspekt der „authentischen“ Naturerfahrung: Fans sind aufgerufen, an den Drehorten versteckte Requisiten zu finden und mittels Geocoaching-App in sozialen Netzwerken deren Fundorte zu vermerken oder sie neu zu verstecken.
Gleichzeitig offenbart die Gnadenlosigkeit der Natur die Unterschiede zwischen den Protagonisten: Den weißen Trappern, die um der Profite willen auf die Jagd gehen und dabei gegeneinander und gegen die Ureinwohner kämpfen müssen, erscheint sie feindlich: Der nahende Winter, die wilden Tiere und Schneestürme erschweren das Überleben und die Rückkehr in das sichere Fort. Den Cree hingegen bietet die Natur Nahrung, Deckung für Hinterhalte, aber auch kindlich-spirituelles Vergnügen, etwa als ein Indianer zusammen mit Glass im Schneegestöber die Flocken glucksend auf der Zunge zergehen lässt. Glass selbst erscheint als Grenzgänger, der sich in Flashbacks immer wieder an seine bei einem von Soldaten verübten Massaker getötete indianische Frau erinnert. Die Rache für den toten Sohn verbindet das Bleichgesicht mit dem Häuptling der Cree, der auf der Suche nach seiner entführten Tochter die Trapper mit allen Mitteln verfolgt. Die durch seine Nahtoderfahrung verstärkte Verbundenheit mit der Natur und den Ureinwohnern verleiht ihm anscheinend die Fähigkeit, nur mit einem Bärenfell ausgestattet zu überleben.
Doch die Mittel der Zivilisation wirken in „The Revenant“ überhaupt äußerst begrenzt. Die umständlichen Steinschlossgewehre der Trapper können es mit den leisen und gut gezielten Pfeilen der Cree kaum aufnehmen. Der in der Filmgeschichte oft thematisierte Landraub ist hier weniger auf die technische Überlegenheit der Weißen zurückzuführen, sondern vor allem auf deren ausgeprägte Fähigkeit, die Eingeborenen mit verwegenen Geschäften zu überlisten. In der Wildnis sind die Indianer behende Jäger und eine tödliche Gefahr. Im Fort hingegen dienen sich deren Frauen lediglich den versoffenen Trappern als Gespielinnen an. Vor diesem Hintergrund ist es blanker Zynismus, als etwa Fitzgerald in einem Dorf voller massakrierter Ureinwohner bemerkt: „Die stehlen ständig unseren Scheiß.“ Die Rache ist nicht nur der „einzige menschliche Zug“ des Films („Tagesspiegel“), sondern gleichzeitig der Ausdruck der unmenschlichen Verhältnisse, in die sich die Menschen selbst zwängen.
„Das waren die Anfänge des amerikanischen Kapitalismus“, sagt Iñárritu über seinen Plot. Er wolle so weit wie möglich in das Nordamerika des 19. Jahrhunderts vordringen und es mit den Augen eines Mexikaners mit indianischen Wurzeln erkunden. Dies gelingt ihm mit Bildgewalt, einem sparsamen, percussiven Soundtrack und ohne Kitsch und Klischees. Die Eingeborenen sind kaltblütige, distanzierte Krieger, zu denen der Zuschauer kaum eine emotionale Verbindung herstellen kann. Ihre Angriffe sind brutal und schockierend realistisch in Szene gesetzt. Einzig die Ereignisse des Films selbst liefern eine Erklärung für ihr Verhalten. Durch die Omnipräsenz von Schnee, Wasser, Tau und Eis steigert sich das Unbehagen beim Zuschauer bis hin zur Abneigung. Zwar beruht die Geschichte einschließlich der Namen auf einer wahren Begebenheit – doch der Regisseur bearbeitete den Stoff in seinem Sinne.
„The Revenant“ erinnert in seiner gewollten Verfremdung der Charaktere, der Verweigerung von Sympathie oder Identifikationsangeboten an Mel Gibsons „Apokalypto“. Doch während die gewaltsame Zivilisierung der Ureinwohner dort nur angedeutet wird, ist sie in „The Revenant“ bereits in vollem Gange.
Johannes Hub