18.07.2016 16:50
Regie: Maren Ade; mit Sandra Hüller, Peter Simonischek; Deutschland 2016 (NFP); 162 Minuten; ab 14. Juli im Kino
»Bin auf’m Weg ins Kino. Pressevorführung von ›Toni Erdmann‹. Deutscher Cannes-Beitrag. Soll trotzdem sehr gut sein«, whatsappte ich Freundin Y. aus der S-Bahn. Worauf sie antwortete: »Mit diesen Schauspielern würde ich jeden Film anschauen.«
Wenige Tage zuvor hatten Kritiker in Cannes »Toni Erdmann« mit »zweifachem Szenenapplaus« bedacht – »Spiegel Online« hatte mitgezählt. Der »Standard« kam auf »mehrmals begeisterten Szenenapplaus«, Deutschlandradio Kultur berichtete von »immer und immer wieder Szenenapplaus«. Die »Welt« meldete: »So viel Zwischenapplaus … hat es seit zehn Jahren nicht gegeben.«
In der Hamburger Pressevorführung wurde nur einmal applaudiert: als sich im letzten Augenblick vor Filmbeginn ein Kollege mit einem albernen Roger-Cicero-Hütchen direkt vor mich setzte, es aber nach einem quälend langen Moment der Unentschiedenheit dann doch abnahm. Da habe ich, wenn auch nur innerlich, Beifall geklatscht. Mehr Applaus war nicht. Etliche Szenen wurden jedoch heftig belacht. Am heftigsten wohl die, die in Cannes beklatscht wurden.
Ines’ wunderbare Gesangsnummer dürfte auf jeden Fall dazugehört haben. Vielleicht auch die Szene, als sie sich, eh schon fast nackt, kurz entschlossen auch noch das Höschen abstreift, bevor sie ihren Chef auf ihrer Party empfängt. Und als dieses haarige Monster plötzlich vor der Tür steht. Wo ich ebenfalls fast applaudiert hätte: bei dieser in ihrer bedrückenden Trostlosigkeit perfekt gespielten Sexszene zwischen Ines und ihrem schmierigen Kollegen. Zumal nie zuvor ein Spritzgebäck sinnfälliger inszeniert wurde.
Y. hatte recht. Die Schauspieler allein machen den Film sehenswert. Allen voran Sandra Hüller, die in der in ihrer Leistungs-und Optimierungsmaschinerie gefangenen Unternehmensberaterin Ines das ganze Elend des von Männlichkeiten und anderen Angebereien dominierten Business auf so drastische Weise verdichtet, dass es weh tut. Und Peter Simonischek lässt Ines’ Vater Winfried zum Scherzkeks Toni Erdmann mutieren, indem er – wie Regisseurin Maren Ade betont – das für einen guten Schauspieler gewiss nicht leichte Kunststück vollbringt, überzeugend einen schlechten Schauspieler zu spielen. Doch selbst der nur sehr kurze Auftritt eines Kurierfahrers gleich am Anfang ist mir in eindrücklicher Erinnerung geblieben. Niels Bormann heißt der Schauspieler, der diese Kleinstrolle mit Bravour gab. In Cannes dürfte ihm niemand applaudiert haben.
Fritz Tietz