Aktuelles

tl_files/hefte/2019/abo919start.jpg

To watch this video, you need the latest Flash-Player and active javascript in your browser.

Tomayers Video-Tagebuch

No-Go-Area Deutschland

Filmkritiken

Termine

Spot on

Where to Invade Next

26.02.2016 11:25

Regie: Michael Moore; USA 2015 (Falcom Media); 110 Minuten; seit 25. Februar im Kino

Ein seriöser Dokumentarfilmer wird Michael Moore in diesem Leben nicht mehr werden. Obwohl er sich in seinem neuesten Stück zutraulich gibt, fast versöhnlich, bleibt Moore der Pamphletist, der er seit »Roger & Me«, seinem Debüt von 1989, war. Er kann nun mal nicht anders, und er sollte es auch nicht wollen, denn sonst kommt etwas Halbgares und über weite Strecken Verkrampftes wie »Where to Invade Next« heraus.

Ein Krampf ist schon das Leitmotiv des Films. Viel zu oft, erzählt Moore zu Beginn, sei das US-Militär auf dubiose Missionen ins Ausland entsandt worden, stets mit verheerenden Resultaten. Nun aber werde er, als eine Art Ein-Mann-Armee, losziehen, um in der Fremde nicht Rohstoffe, sondern gute Ideen für sein Land zu kapern. Schade, dass Moore dabei keine Idee für ein besseres Konzept gefunden hat: Wenn er die Stars-and- Stripes-Flagge aufpflanzt, um seine »Invasion« zu illustrieren, wirkt dies beim ersten Mal (in Italien) grotesk, beim zweiten Mal (in Frankreich) peinlich und danach nur noch blöd. Moore selbst macht bei den Szenen einen etwas unglücklichen Eindruck, und zu Recht: Der schmale Witz ist weit unter dem Niveau dieses geborenen Satirikers.

Was nicht heißen soll, es gäbe in »Where to Invade Next« überhaupt nichts Lustiges. Wenn Moore mit den Kindern einer französischen Grundschule zu Mittag isst und ihnen, die mit einem appetitlichen Drei-Gänge- Menü versorgt werden, Fotos vom Standardfraß an US-Schulen zeigt, sorgt die Fassungslosigkeit in den Gesichtern der Kleinen und kurz darauf ihres Kochs für einige hübsche Lacher. Ebenfalls nicht schlecht: In einem norwegischen Musterknast für Schwerkriminelle berichtet ein Insasse von den Freiheiten des Vollzugs, und während die Kamera auf einen Messerblock neben dem Häftling zoomt, gibt der zu, wegen Mordes einzusitzen.

Moore wollte nicht schon wieder die Probleme der USA anprangern, sondern etwas zu ihrer Lösung beitragen, »die Blumen pflücken, nicht das Unkraut jäten«. Und es ist ja nichts Verkehrtes daran, die sozialpolitischen Errungenschaften, die innerhalb des kapitalistischen Zwangs noch möglich sind, vorzuzeigen: das kostenlose Studium in Slowenien etwa, den Mutterschutz in Italien oder die Straffreiheit für Abtreibungen in Tunesien. »Der amerikanische Traum«, behauptet Moore, »scheint überall lebendig zu sein – außer in Amerika.« Das könnte ein hervorragender Wahlkampfslogan für Bernie Sanders werden, so wie »Where to Invade Next« mit seinen wie geleckten Bildern von blühenden Landschaften und glücklichen Menschen eine exzellente Reklame für Sanders’ Präsidentschaftskandidatur. Und vielleicht hat Michael Moore genau dies im Sinn gehabt, als er das neue Stück produzierte. (Kurz vorm Caucus in Iowa verkündete Moore, Sanders sei ein Mann, den Amerika »wirklich und wahrhaftig braucht«.)

Doch nicht nur der Weg zur Hölle, sondern auch der zu missratenen Filmen ist mit guten Absichten gepflastert. Den Verzicht auf offene Polemik gleicht Moore durch Propaganda aus, und so was ist trotz edlem Zweck auf Dauer viel schwerer auszuhalten als die plumpeste Sottise. Moore hat die Exempel für humane Lebensbedingungen gewiss klug gewählt, er unterschlägt jedoch, dass dieses bisschen Gute überall auf der Welt die Ausnahme, nicht die Regel bildet. So preist der Film die Arbeiterfreundlichkeit italienischer und deutscher Fabrikbesitzer, verliert aber kein Wort über die Folgen von Hartz IV oder Austeritätsdiktatur. Dass in Portugal der Gebrauch illegaler Drogen nicht bestraft wird, ist zweifellos vorbildlich für die USA, wo die Zuchthäuser vollgestopft sind mit kleinen Dealern und Crackrauchern. Aber vorbildlich eben auch für all die EU-Länder nebenan, die Moore wie Inseln der Glückseligkeit aussehen lässt.

Richtig ärgerlich wird es, wenn er vom Eifer der Deutschen schwärmt, sich ihrer finsteren Vergangenheit zu stellen: So etwas wie das Berliner Holocaust-Mahnmal, meint er, stünde auch den USA gut zu Gesicht, mit ihrer Geschichte von Sklaverei und Indianerunterwerfung. Wie hohl die hiesigen Gedenkrituale und Völkermordmonumente sind, wie sie vor allem als Rechtfertigung dafür dienen, wieder die Drecksau rauslassen zu dürfen, könnte Michael Moore wissen, wenn er sich bloß bemühte. Aber ihm ist ja nicht mal klar, dass er die Shoah relativiert, als hätte er es von Deutschen gelernt. Ein Dutzend Jahre ist es her, da pflegten die Erben der Nazis eine heftige Liebesbeziehung zum Filmemacher und Buchautor Moore. Sie dauerte allerdings nicht viel länger als der Krieg gegen Saddam Hussein. »Where to Invade Next« hat das Zeug dazu, eine Amour fou neu zu beleben.

Und das ist noch nicht der letzte Einwand gegen das verkrampfte Werk. Im »Esquire« hat der kanadische Filmkritiker Stephen Marche dem Regisseur »politischen Narzissmus« vorgeworfen: »Für ihn ist Europas Realität allein dafür gut, Amerika etwas beizubringen« Damit liegt Marche nicht falsch, auch wenn er es falsch begründet: »Michael Moore hasst den imperialistischen Anstrich des amerikanischen Patriotismus … Er hasst so sehr, was in seinem Land geschieht, dass er seinen Hass in andere Länder exportiert.« Tatsächlich kann Moore sehr zornig werden angesichts der Trümmerberge, die drei Jahrzehnte neoliberaler Politik und 14 Jahre »war on terror« in den USA aufgehäuft haben, und welcher denkende Mensch möchte ihm das verdenken? Hass aber war nie ein Antrieb für Moores Arbeit, nicht mal in seinen umstrittensten (und populärsten) Filmen, »Bowling for Columbine« und »Fahrenheit 9/11«. Sein Mitgefühl für die Verlierer eines miesen Spiels namens Kapitalismus, seine Sympathie für die Opfer der Macht sind viel zu ausgeprägt, um Platz für Hass zu lassen. Es wäre dennoch zu wünschen, dass Michael Moore nie wieder versucht, im Kino den Messias zu spielen: Er vergeudet damit ein Riesentalent für satanische Scherze. Und leider auch die Zeit seines Publikums.

Kay Sokolowsky

Zurück