03.02.2015 11:53
Regie: Burhan Qurbani; mit Jonas Nay, Devid Striesow; Deutschland 2014 (Zorro); 128 Minuten; seit 22. Januar im Kino
Rostock-Lichtenhagen 1992. Das Asylbewerberheim brennt. Vor dem Haus Junge und Alte. Sie applaudieren. Wir kennen die TV-Bilder. Der Film hat dagegen die Situation der Jugendlichen im Blick, desozialisiert nach der Wende. Er beschreibt, wie sie abhängen, Stunden vorm Feuerlegen in der Ostsee baden, gern auch nackt, Sex haben, rumalbern, sich hauen und keinen Plan haben, während der Papa, Lokalpolitiker, der auf seine Weise auch keinen Plan hat, lieber allein zu Haus Kopfhörer aufsetzt und klassische Musik hört.
Hallo!? Soll ich jetzt für das, was die Menschen vor der Flüchtlingsunterkunft bewegt, Verständnis aufbringen? Ich werde im Kino erstens hellwach. Zweitens reg ich mich auf, und drittens bin ich drin verwickelt. Denn damals, ein Jahr nach 1992, bin ich nach Lichtenhagen gefahren, um als Vater die Eltern der Braut kennenzulernen. Ich guckte aus dem Fenster des Plattenbaus und hatte die Fassade des Asylbewerberheims vor mir. »Das muss ja furchtbar gewesen sein.« »Ja«, sagte die gütige, voll sympathische Mutter, »die Ausländer haben auf dem Rasen kampiert, überall lag Müll, und die Büsche haben sie als Toilette benutzt.« – »Äh, ich meine das irgendwie anders.« Sie guckte mich ratlos an.
Im Kino gucke ich ratlos auf die vollgemüllte, vollgeschissene Wiese. Sie sieht genauso aus, wie die anständige Bürgerin sie mir damals beschrieben hat. Also gibt’s jetzt Fragen. Der Film gibt Hilfestellung. Die Vietnamesin im Haus nebenan, kurz vorm Brand: »Uns passiert nichts; die Wut der Leute richtet sich gegen die Zigeuner auf dem Platz.« – »Es muss Sinti und Roma heißen«, korrigiert der Film. Ist das die Lösung? Oder der Sängerkrieg? »Früher war es wunderbar, da war noch der Führer da, oi oi oi« gegen »Völker hört die Signale«? Nein? Oder »Wir sind das Volk!« gegen das Jungvolk: »Wir sind jung. Wir sind stark«?
Mit seinem Rede-Gegenrede-Programm hat der Film eine Strategie: die Neutralisierung von sich anbahnenden Positionen. Klar, wohin die Sympathie des Regisseurs Burhan Qurbani geht. Sein zweiter Spielfilm hat starke Bilder. Qurbani, der als Sohn afghanischer Flüchtlinge in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, hat sich ästhetisch einwandfrei ins Jungvolk verguckt. Man kann’s dabei belassen. Du musst nur deinen Verstand ausschalten. Zwei Stunden sind genug. Zieh die Notbremse! Da, der Abspann! Aber leider hat sich der Film schon bei mir verhakt. Ich bin ja auch involviert. Ich muss da raus! Dietrich Kuhlbrodt