In der Marx-Man-Cave

Wer hätt’s gedacht: Die Kritik linker Männer an dem Film »Barbie« läuft auf den Nebenwiderspruch hinaus. Von Elena Wolf

Spoiler: Der Mann, der diesen Text bis zu Ende liest, ist entweder ein schlauer oder ein orthodoxer Marxist. Denn wer nach der Überschrift weiterliest, ist Feminist – oder war so dämlich, sich bereits a barbiori über feministische Kritik aufzuregen, trotzdem weiterzulesen und sich a posteriori noch mehr masochistische Gehirnschmerzen zuzufügen, als ihm der ganze moderne Weiberkram eh schon in seiner Marx-Man-Cave beschert hat. Zwei Wochen nach der Premiere von »Barbie« im August ist es der Oscar-nominierten Regisseurin Greta Gerwig als erster Frau – ohne männlichen Co-Regisseur – gelungen, weltweit über eine Milliarde Dollar einzuspielen. Mit einem Werbefilm des milliardenschweren Spielzeugherstellers Mattel! Einem Film, bei dem viele Linke schon vor seinem Kinostart die Augen verdrehten, weil sie ihn für genauso egal erachteten wie irgendwelche redundanten, im Akkord produzierten Superhelden-Endlosfilmreihen.

Denn, mit Verlaub, was soll »Barbie«, Inbegriff verpuppter kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse und Geschlechterklischees, bitte schön für ein Film sein? Sicher keiner, dem in linken Schützengräben des guten Geschmacks Aufmerksamkeit entgegengebracht werden müsste. So jedenfalls das Vorurteil in linksblubbernden Popkulturblasen, in denen schlauen Männern nie aufgefallen ist, dass Barbie im Grunde auch nur eine kapitalistische Actionfigur wie »Batman« oder »Spiderman« ist. In »Barbie« geht’s vor allem um Frauen. Doch das, was sich in linken Rezensionen und der öffentlichen Diskussion abzeichnete, als der Film selbst vor kleinen Arthousekinos Schlangen produzierte, hat mehr mit den Problemen linker Männer im Kapitalismus zu tun, als linken Männern im Kapitalismus lieb ist.

Zwar weiß der belesene Linke, dass er »Barbie« nicht aus demselben Grund doof finden kann wie Konservative und Rechte (für die ist der Film schlichtweg ein Angriff auf ihre Männlichkeit und ein weiterer kryptonider Mosaikstein im »Kulturkampf« woker »Kulturmarxisten«, die eine Diktatur errichten wollen); seine Argumente sind auch viel schlauer als die langweiligen Antifeminismen abgelaufener Konserven. Doch allein die Tatsache, dass »Barbie« vor allem am absurden Maßstab einer (nicht vorhandenen) Kapitalismuskritik gemessen wird, während zahllose von Milliardenunternehmen erschaffene männliche Figuren seit Jahrzehnten über die Leinwände hüpfen können, ohne dass sie den Kapitalismus abschaffen müssen, offenbart ein Problem im Denken vieler linker Männer, das so alt ist wie der Bart von Karl Marx: den leidigen Nebenwiderspruch.

Die Frauensache. Das Weibergedöns, das sich nach der Revolution schon von selbst erledigte, wenn sich alle Proletarier (Frauen sind selbstverständlich mitgemeint) mal zusammenreißen, sich wegen ihrer Reproduktionsorgane nicht so anstellen, sondern sich gemeinsam gegen die Unterdrücker stellen würden. Befreiung könnte so einfach sein – wäre da nicht der nervige Feminismus, der sich nicht so einfach an der Klassenlinie zusammenführen lässt, sondern zu allem Überfluss auch noch – vom bürgerlichen über den materialistischen bis hin zum Queer-Feminismus – so gespalten ist wie jede linke Hochschulgruppe, wenn das Stichwort »Israel« fällt.

Lieber erst gar nicht anfangen, sich mit geschlechtsspezifischen Unterdrückungspraktiken im Kapitalismus auseinanderzusetzen, sonst wird das mit seiner Abschaffung noch komplizierter, als es mit den Intersektionsnervensägen eh schon ist. Und so wundert es wenig, dass Filmrezensenten wie etwa Wolfgang M. Schmitt oder die Macher des Podcasts »99 zu eins« alle möglichen linksintellektuellen Dinge darüber zu sagen wissen, weshalb »Barbie« kein guter Film sei (weil er – surprise, surprise – den Kapitalismus nicht abschaffen wolle, klischeehaft sei und viele Ideen nicht konsequent zu Ende denke), während sie ihn in dem, was er hauptsächlich verhandelt, überhaupt nicht ernst nehmen: die symbolische Herrschaft des Patriarchats. Genau das tut der Film aber: die natürlich erscheinende Minderwertigkeit von Frauen auf links drehen und den männlichen Herrschaftsanspruch als absurden Witz ausstellen. Das mag für Männer »klischeehaft« sein. Für Millionen Frauen, die sich heute noch beim Joggen hinterherpfeifen lassen müssen, ist es das nicht.

Als Frau bedarf es nicht einmal des umstrittenen Betroffenheitsarguments, um zu behaupten, dass es vollkommen betriebsblind ist zu glauben, dass ein ökonomischer Kapitalbegriff ausreicht, um geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und patriarchale Strukturen ausreichend zu erfassen oder gar zu überwinden. Doch das hält etwa Wolfgang M. Schmitt nicht davon ab, sich – um »Barbie« abzuwatschen – in seiner ökonomiefixierten Rezension maximal empathiebefreit ausgerechnet mit der Lektüre von Pierre Bourdieu zu schmücken, einem Sozialphilosophen, dem der marxistische Kapitalbegriff nicht ausreichend erschien, um Herrschaftsformen im Kapitalismus zu beschreiben. Dennoch hat sich der blinde Fleck in der Kritik der politischen Ökonomie bei Marx-Apologeten bis heute gehalten. Und so fixieren sich auch die marxistisch geschulten Rezensenten des Podcasts »99 zu eins« in ihrer Kritik an »Barbie« lieber auf die sozialdemokratischen Reformgedanken und die neoliberal verblödete »Du kannst alles werden, was du sein willst«-Ideologie des Films, statt Kino als kulturelles Werkzeug zur Dekonstruktion patriarchaler Herrschaft ernst zu nehmen.

Am Ende ist der ganze Sexismus, die Objektifizierung, die symbolische und materielle Erniedrigung, die Margot Robbie als Barbie erfährt, als sie aus »Barbie«-Land (wo das Matriarchat herrscht) in die Menschenwelt rübermacht, für linke Männer immer noch nicht relevant. Weil sie diese Unterdrückungsformen nur vom Hörensagen kennen. Und weil das Nichternstnehmen geschlechtsspezifischer Unterdrückungspraktiken im Kapitalismus einer linken Tradition marxistisch-patriarchalen Denkens geschuldet ist, welches das Patriarchat stets als Begleiterscheinung kapitalistischer Verhältnisse betrachtet und es in seiner eigenständigen, dem Kapitalismus vorgelagerten Herrschaft nie begriffen hat. Gerade so, als würde Frauen nicht mehr hinterhergepfiffen werden, wenn Männer nicht mehr um den Mehrwert ihrer Lohnarbeit betrogen würden.

Elena Wolf schrieb in konkret 8/23 über die moderne Version des autoritären Charakters